Prüfungsschemata Arbeitsrecht
Individualarbeitsrecht
I. Betriebliche Übung
1. Verschiedene dogmatische Grundlagen
- normative (betriebliches Gewohnheitsrecht)
- Vertrag oder Vertrauenshaftung aus § 242 BGB
2. Geltung gegenüber dem Anspruchsteller
a) allgemein lang andauernde Übung
b) gerade auch gegenüber dem Anspruchsteller
---> hier ansonsten Grundsatz der
betrieblichen Gleichbehandlung prüfen
3. Bindung des Arbeitgebers
zwingend: vorbehaltlose Gewährung (durch Widerrufsvorbehalt
oder den Hinweis auf den freiwilligen
Charakter der Gratifikation wird die Entstehung der
betrieblichen Übung ausgeschlossen
4. möglicherweise vorhandene Schriftformklausel aus Tarifvertrag oder
Arbeitsvertrag kann Entstehen
der betrieblichen Übung verhindern. Wenn sich AG darauf
beruft, kann das Scheitern an:
a) einverständlicher Aufhebung der Formklausel
b) Rechtsmißbrauch
5. Rechtsfolge der betrieblichen Übung: Fortbestehen der Übung
6. Beseitigung der Übung
a) bei vorbehaltloser Gewährung: Änderungskündigung oder
Widerruf bei Gefährdung des Betriebes
b) bei Widerrufsvorbehalt: aus wichtigem/sachlichem Grunde
Back
II. Betrieblicher Gleichbehandlungsgrundsatz
1. Vorrang davor haben spezielle Anspruchsgrundlagen:
a) Art. 3 GG
b) § 75 BetrVG
c) § 2 I BeschFG
d) § 611a BGB
2. Dogmatische Herleitung
- Drittwirkung aus Art. 3 I GG
- Selbstbindung des AG
- Fürsorgepflicht des AG
- Grundsatz von Treu und Glauben, § 242 BGB
3. Anwendung
a) AG wendet seine Maßnahme nach allgemeiner Regel auf eine
Gruppe von Beschäftigten an =
kollektiver Bezug
b) nachteilige Ungleichbehandlung einzelner, ansonsten damit
aber vergleichbarer AN
c) ohne zureichenden Grund, m.a.W. allein ein sachlicher
Grund genügt (Ausnahme § 611a BGB)
d) Rechtsfolge: Gleichbehandlung durch Angleichung,
normalerweise "nach oben", Ausnahme: AG kann
die Maßnahme auch den anderen, zuvor
Begünstigten gegenüber einschränken
Back
III. Fragerecht des AG
1. zulässig sind Fragen nach Umständen, die in ausreichend engem Zusammenhang
zum geplanten Arbeitsverhältnis stehen (also: berufliche Fähigkeiten und
Qualifikationen, persönliche Umstände einge-
schränkt, wenn sie arbeitsplatzbezogen sind, z.B. Schwerbehinderteneigenschaft,
gesundheitliche Beeinträchtigung, ggf. Vorstrafen, wenn für Arbeitsplatz
relevant)
2. unzulässige Fragen: Parteizugehörigkeit, Religionszugehörigkeit (Ausnahme:
bei entsprechenden Tendenzbetrieben, sofern einzustellender AN diese Tendenz
nach innen und/oder außen zu vertreten oder zu entwickeln haben),
Schwangerschaft
Back
IV. Fehlerhaftes (faktisches) Arbeitsverhältnis
1. Voraussetzungen
a) Fehlen eines wirksamen Vertrages, aber "natürliche"
Einigung der Beteiligten
b) Vollzug des Arbeitsverhältnisses
c) Fehlen entgegenstehender, besonders schutzwürdiger
Interessen (MJ-Schutz)
2. Rechtsfolgen
a) sofortige ex-nunc-Beendbarkeit des Arbeitsverhältnisses
durch einfache Erklärung
b) vor davor liegende Zeit: Abwicklung wie wirksamer
Arbeitsvertrag
3. typischer Fälle
a) Anfechtung des Arbeitsvertrages (nach Invollzugsetzung des
Arbeitsverhältnisses)
b) Gesetzes- oder Sittenverstoß, §§ 134, 138 BGB
c) Mängel der Geschäftsfähigkeit / Vertretungsmacht
Back
V. Ordentliche Kündigung mit Kündigungsschutz
1. Zulässigkeit der Kündigungsschutzklage aus § 8 I 3 b) ArbGG:
Feststellungsinteresse aus § 4 I KSchG
2. Begründetheit
a) Obersatz: Die Kündigungsschutzklage wäre begründet,
wenn die vom AG ausgesprochene Kündigung
nicht wirksam
wäre.
b) Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis haben bestanden
c) Kündigungs-WE liegt vor, ist wirksam abgegeben und
zugegangen
c1) ordentliche Kündigung im Einzelfall nicht ausgeschlossen,
§§ 15 KSchG, 15 II BBiG
c2) keine Nichtigkeitsgründe, §§ 134, 138, 612a BGB
d) ggf. erforderliche Betriebsratsanhörung hat stattgefunden,
§ 102 I 3 BetrVG, 9 MuSchG, 15 SchwbG, 18 BErzGG
e) Schriftformerfodernis des § 623 BGB ist gewahrt
f) Angabe des Kündigungsgrundes ist fakultativ, keine
Wirksamkeitsvoraussetzung
g) die Kündigung müßte sozial gerechtfertigt sein
aa) Geltungsbereich des KSchG, § 23 I
aaa)
betrieblicher Geltungsbereich: mindestens 5 Beschäftigte (Zurechnung nach § 23
I )
bbb)
persönlicher Geltungsbereich: AN >6 Monate dort beschäftigt, § 1 I und keine
Person nach
§ 14 I
bb) Einhaltung der Klagefrist, § 4 S.
1, 5 I KSchG (ansonsten materielle Präklusion): drei Wochen
---> Folge bei Fristversäumnis: Heilung einer Sozialwidrigkeit
cc) soziale Rechtfertigung der
Kündigung (Verhalten des BR irrelevant)
aaa)
personenbedingte Kündigung: mangelnde körperliche, geistige oder charakterliche
Eignung
des AN, Hauptfall: krankheitsbedingte Kündigung:
(1) Negative Gesundheitsprognose: Grundlage sind vergangene Fehlzeiten in
erheblicher Höhe
auch zukünftig muß mit entsprechenden Erkrankungen zu rechnen sein, z.B.
langanhaltende
Krankheit, häufige Kurzerkrankungen, krankheitsbedingte Minderung der
Leist.-Fähigkeit
(2) Erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen: Störungen des
Betriebsablaufs oder
erhebliche wirtschaftliche Belastungen, lt. BAG auch die den Zeitraum von 6
Wochen
übersteigende Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung nach § 3 EntgFZG
(3) Interessenabwägung: Maßstab der sozial denkende, verständige AG:
- hat Krankheit betriebliche Ursachen?
- ist es dem AG wirklich nicht mehr zumutbar, den AN weiterzubeschäftigen?
bbb)
verhaltensbedingte Kündigung: Verstöße des AN gegen arbeitsvertragliche Haupt-
oder
Nebenpflichten
(1) schuldhaftes Verhalten: Verhalten, das eine Kündigung an sich rechtfertigen
kann (Geeignet-
heit); Abgrenzung verhaltens- ./. personenbedingter Kündigung: hauptsächliche
Störquelle
liegt in Eigenschaften oder Fähigkeiten des AN, dann personenbedingt, ansonsten
verhaltens-
bedingt
(2) negative Zukunftsprognose: sind auch zukünftig Vertragsverletzungen zu
befürchten?
Ausnahme: wenn allgemein das Vertrauen des AG gestört ist
(3) Weiterbeschäftigungsmöglichkeit: möglweise anderer Arbeitsplatz geeignet?
(4) Abmahnung als Ausprägung des Ultima-ratio-Grundsatzes, ggf. entbehrlich,
wenn AN
mit Billigung seines Verhaltens ohnehin nicht hätte rechnen dürfen und sie dem
AG nicht
zumutbar ist
(5) Interessenabwägung: ist das Verhalten geeignet, einen verständige AG zur
Kündigung zu
veranlassen?
ccc)
betriebsbedingte Kündigung: wenn mehr AN beschäftigt, als benötigt
(1) Darlegung des AG, daß interne oder externe Gründe zu Arbeitskräfteüberhang
führen
(2) mildere Mittel / Weiterbeschäftigung: dringende betriebliche Erfordernisse:
weder Weiterbeschäftigung an anderem Arbeitsplatz noch Änderungskünd. möglich
(3) Interessenabwägung: besondere soziale Härtefälle?
(4) Sozialauswahl
(i) welche Gruppe von AN nicht mehr benötigt?
(ii) welcher AN dieser Gruppe ist am wenigstens hart betroffen? Kriterien sind:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Lebensalter
- Unterhaltspflichten
(iii) nicht einbezogen in die Auswahl werden AN, die wegen ihrer Kenntnisse,
Fähigkeiten,
Leistungen oder zur Sicherungen einer ausgewogenen Personalstruktur im
berechtigten
betrieblichen Interesse einer Weiterbeschäftigung sind.
h) Kündigungsfrist beachtet, § 622 BGB
Back
VI. Außerordentliche Kündigung
1. Wirksame Kündigungserklärung
2. keine Nichtigkeitsgründe
3. Beteiligung Dritter
4. Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes
5. Klagefrist aus §§ 4, 13 I 2 KSchG
6. wichtiger Grund, § 626 I BGB, zweigliedrige Prüfung
a) an sich geeigneter Vorfall
aa) geltend gemachter Vorfall besteht
tatsächlich
bb) sofortige Beendigung des
Arbeitsverhältnisses ist geeignetes Mittel, um die berecht. Interessen des AG zu
wahren, d.h. Arbeitsverhältnis müßte auch zukünftig durch den Vorfall belastet
sein (strafbare Handlungen, beharrliche Arbeitsverweigerung, Verstoß gegen das
Wettbewerbsverbot)
b) Interessenabwägung - ist die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses unter keinen Umständen wenigstens bis zum Ende der
Kündigungsfrist zumutbar?
---> zugunsten AN: geringes
Verschulden, geringer Schaden, bisher störungsfreies Arbeitsverhältnis,
besonderes Angewiesensein auf den Arbeitsplatz
---> zugunsten AG: grobes Verschulden
des AN, Mißachtung besonderer Weisungen, Störung des Vertrauensverhältnisses,
Beeinträchtigung des Betriebsklimas etc.
---> gibt es also milderes Mittel,
wie Abmahnung, ordentliche Kündigung, Änderungskündigung??
7. Kündigungserklärungsfrist, § 626 II BGB
8. eventuell Umdeutung (§ 140 BGB) in ordentliche Kündigung möglich?
Back
VII. Sonderfälle
1. Verdachtskündigung
a) Was ist das? Allein der bloße
Verdacht einer besonders schweren Pflichtverletzung soll ausreichen, um mittels
Kündigung (ordentlich oder außerordentlich) das Arbeitsverhältnis zu beenden,
str.
b) Voraussetzung: schwerer, durch
Tatsachen begründeter Verdacht gegen den AN
c) AG muß alles ihm Mögliche zur Sachverhaltsaufklärung getan haben
d) Anhörung des betroffenen Arbeitsnehmers
2. Druckkündigung
a) Was ist das? Dritte (andere
Mitarbeiter, BR, Kunden) verlangen die Kündigung des jeweiligen AN.
b) Voraussetzung: ernstliche Androhung
von nachhaltigen Nachteilen für den AG, denen er sich nicht entziehen kann und
die er nicht hinzunehmen braucht, der AG muß sich zuvor "schützend" vor den
betroffenen AN gestellt haben, also versucht haben, den Druck abzuwenden (vgl.
M. Schlachter, Arbeitsrechtsskriptum)
c) wichtig: AN muß gerade nicht ein Verhalten an den Tag gelegt haben, was das
die Situation vorwerfbar hervorgerufen hat!!
Back